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Navigieren in Zeiten des Umbruchs

eBook - Die Welt neu denken und gestalten

Erschienen am 10.09.2015, Auflage: 1/2015
Auch erhältlich als:
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593432069
Sprache: Deutsch
Umfang: 161 S., 0.72 MB
E-Book
Format: PDF
DRM: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

Navigieren in Zeiten des UmbruchsIn wenigen Jahren wird fast alles anders sein: was wir tun, wie wir es tun und warum wir es tun; wie wir produzieren und konsumieren, wie wir arbeiten, wie wir lernen und forschen - und wie wir leben. Wie gehen wir in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft damit um? Umbrüche öffnen Möglichkeiten, indem sie Altes verdrängen und Neues schaffen. Management, wie Malik es versteht, ist die gesellschaftliche Funktion, diese Möglichkeiten zu nutzen.Die Neue Welt, von der in diesem Buch die Rede ist, ist in vielen Dimensionen noch unbekannt. Sie entsteht durch die Große Transformation21, wie der Autor seit 1997 den historisch wahrscheinlich größten gesellschaftlichen Umwandlungsprozess nennt. Diese Transformation befreit die Gesellschaft von ihren verknöcherten Organisationen und öffnet Wege zu einem neuen Denken und zu einem besseren Funktionieren.Ein Buch für klare Sicht und persönlichen Mut. Ein Orientierungsraster für das Navigieren in offenen Horizonten.

Autorenportrait

Fredmund Malik ist ein vielfach ausgezeichneter Autor von Bestsellern, darunter der Klassiker "Führen Leisten Leben", der zu den 100 besten Managementbüchern aller Zeiten gehört. Zu seinen Auszeichnungen zählen das Ehrenkreuz der Republik Österreich für Wissenschaft und Kunst (2009), der Heinz-von-Foerster-Preis für Organisationskybernetik der Deutschen Gesellschaft für Kybernetik (2010) und jüngst der Life Achievement Award der Weiterbildung (2018) für seine Verdienste in der Management-Lehre.

Leseprobe

VORWORT

Navigieren ist die Kunst des Steuermanns. Navigieren heißt, den Standort feststellen, das Ziel festlegen und den Weg dorthin steuern.
Die höhere Form des Navigierens ist die Fähigkeit, sich im Unbekannten zurechtzufinden - dann, wenn die Standorte ungewiss, die Ziele beweglich und die Wege vielfältig sind.
In diesem Buch beschreibe ich die neuen Methoden des Navigierens in einer Neuen Welt, darunter auch Denkprinzipien und Regeln des Handelns bei Ungewissheit und hoher Komplexität.
Die Neue Welt, von der hier die Rede sein wird, ist zwar in vielen Dimensionen noch unbekannt. Was kann man aber dennoch schon wissen? Vielleicht wissen wir bereits viel mehr als wir heute meinen.
So wissen wir etwa, dass das Neue komplex sein wird. Das wird die größte Herausforderung für Führungskräfte sein. Das gilt auch für Organisationen aller Art - für Wirtschaftsunternehmen ebenso wie Krankenhäuser, für Verwaltungsorganisationen genauso wie für Schulen, für Städte und für Staaten. Wir wissen, dass all diese Organisationen trotz wachsender Komplexität funktionieren müssen, aber und gerade mit Komplexität immer besser und neu funktionieren können. Wir kennen Methoden und Instrumente für den richtigen Umgang mit Komplexität, und für das Meistern von Komplexität haben wir systemkybernetisches Management.
Also können wir - trotz aller Ungewissheiten und Unsicherheiten - durch die Zeit des Umbruchs navigieren. Dabei werden wir mit jedem unserer Schritte mehr erfahren, denn so sind komplexitätsgerechte Methoden und Modelle mit ihren Feedbacks angelegt.
Die Neue Welt entsteht durch die Große Transformation21, wie ich 1997 den fundamentalen Umwandlungsprozess nannte. Sie befreit die Alte Welt von organisatorischen und manageriellen Beschränkungen, um besser zu funktionieren, um Neues zu denken und zu gestalten.
Ich danke dem Team des Campus Verlags, vor allem Frau Dr. Judith Wilke-Primavesi und Frau Selina Hartmann. Mein besonderer Dank gilt Frau Mag. Tamara Bechter für die gute Zusammenarbeit. Ohne sie würde es dieses Buch so nicht geben.
Fredmund Malik
St. Gallen, im Juni 2015


Kapitel 1
WARUM NEU DENKEN?
Wo stehen wir? Was geht "da draußen" vor? Wie kann ich mich zurechtfinden? Was soll ich tun? Vielen fehlt die nötige Orientierung, um sich in der Komplexitätsgesellschaft zurechtzufinden. Zuverlässig Orientierung zu bekommen, ist für Führungskräfte aller Organisationen der Gesellschaft zur großen Herausforderung geworden. Aber nicht nur für diese, sondern für die meisten Menschen überhaupt.

Thesen

Wenn sich, wie derzeit, die Nein-Sager häufen, die einem erklären, was nicht geht und was nicht möglich ist, so ist das ein Indiz für Zeiten des Umbruchs. Was einmal richtig war, ist plötzlich falsch. Viele erkennen im Neuen nur das Alte und richten ihr Handeln daher exakt falsch aus. In einem Umbruch ist das ein dominantes Muster.
Wirtschaft und Gesellschaft stehen global in einer der geschichtlich größten Transformation von der Alten Welt, wie wir sie kennen, in eine Neue Welt, die wir noch nicht kennen. Durch diese Transformation wird sich fast alles ändern: Was wir tun, wie wir es tun und warum wir es tun - und auch wer wir sind.
Die größte Herausforderung der Neuen Welt ist ihre immense Komplexität. Komplexität ist der Hauptgrund für die wachsende Zahl von lokalen und globalen Krisen.
Deren Ursprung liegt in veralteten Organisationen und ihrer wachsenden Unfähigkeit, Komplexität zu meistern. Immer mehr Organisationen sind überfordert, langsam, ineffizient und gelähmt.
Diese Unfähigkeit resultiert aus falsch programmierten Navigationssystemen, aus Strukturen des vorigen Jahrhunderts, aus einem veralteten Managementverständnis sowie überholten Methoden und Instrumenten des Steuern, Lenkens und Gestaltens.
Aus dieser Unfähigkeit heraus reagieren immer mehr Organisationen mit der falschen Strategie: Sie wollen Komplexität reduzieren, um weiterhin an ihrem veralteten Funktionieren festhalten zu können. Sie sehen Komplexität ausschließlich negativ. Damit verhindern sie Lösungen und tragen zur Verschärfung von Krisen bei.
Die richtige Strategie ist das Nutzen von Komplexität. Nur daraus entstehen Lösungen. Denn Komplexität ist der Rohstoff für Intelligenz, Innovation und Evolution, für Selbstregulierung und Selbstorganisation, und für alle höheren Leistungen. Komplexität ist der Baustoff für die Neue Welt und ihre neuen Organisationen. Das Gelingen der Großen Transformation21 hängt somit wesentlich davon ab, das organisatorische "Gewebe" der Gesellschaft und dessen Management grundlegend zu reformieren.
Das Wissen über Komplexität und wie man sie meistert, ist die wichtigste Ressource für funktionierende Organisationen. Es ist ein systemkybernetisches Wissen, das wichtiger ist als Zeit und Energie. Information über Kybernetik wird wichtiger als Geld, Selbstorganisation wird wichtiger als Macht.
Dies betrifft auch die Gesellschaft als Ganzes. Ihre bisherigen politischen Ordnungskategorien der polaren Gegensätze von Kapitalismus und Sozialismus sind überholt, weil sie in der Komplexitätsgesellschaft weder Orientierung geben noch Probleme lösen. An ihrer Stelle brauchen wir eine neue Systemintegration - den humanen Funktionismus - als Orientierungsraster für das Navigieren durch die Umbruchzeiten.


Kapitel 2

DIE GROßE TRANSFORMATION21

"Gerade unser Verständnis der Welt beeinflusst die Bedingungen der sich wandelnden Welt."
Karl Popper

Ein Zeichen unserer Zeit?

Mehr als je zuvor treffe ich auf allen - selbst den obersten Führungsebenen - auf Menschen, die mir erklären, was nicht geht, auch unter jenen, die so etwas früher nie gemacht haben.
Mittlerweise scheint es mir fast ein Zeichen der Zeit zu sein, dass die Zahl der notorischen Nein-Sager stetig steigt, und wenn ich die Zögerer und Zauderer noch hinzuzähle, dann ist es schon die Mehrheit. Aus dem früheren "Alles ist möglich" ist beinahe ein "Nichts mehr ist möglich" geworden.
Die heutigen Nein-Sager sind aber anders als die früheren. Denn sie sind meistens nicht einfach "nur so dagegen", sondern sie haben gute Gründe für ihre ablehnende Haltung. Viele haben sogar Recht, denn tatsächlich geht vieles nicht oder nicht mehr.
Ich nehme das als ein Indiz dafür, dass der zwar schon lange, aber doch noch gebremst vor sich gehende Wandel nun in die Phase der Beschleunigung und Intensivierung kommt. Die Menschen spüren, dass sich in immer mehr Bereichen der Gesellschaft Grundlegendes ändert, und dass es irreversibel sein wird. Aber die meisten können sich keinen Reim darauf machen. Sie erleben auch immer stärker und bewusster, dass ihnen Orientierung fehlt.
In der Alten Welt geht vieles nicht mehr, weil sie ihrem Ende zugeht. In der Neuen Welt geht vieles noch nicht, weil es noch nicht richtig da oder noch nicht reif genug ist. Gerade deshalb ist es in allen Organisationen eine der Kernaufgaben der Führung, nach Wegen zu suchen, auf denen es dennoch geht. Es geht um das Navigieren in turbulenten Zeiten des Umbruchs. Wir betreten Neuland und wissen noch nicht, wie wir damit umgehen werden.

Von der Alten Welt zu einer Neuen Welt

Wirtschaft und Gesellschaft aller Länder gehen durch eine der größten Transformationen, die es in der Geschichte je gab. Wir sind Zeitzeugen einer umwälzenden Transformation der Alten Welt, wie wir sie kennen, in eine Neue Welt des noch Unbekannten. Es ist die Entstehung einer grundlegend neuen Ordnung und eines neuen gesellschaftlichen Funktionierens - eine gesellschaftliche REvolution einer neuen Art.
Was an der Oberfläche wie eine Finanz-, Wirt-schafts- oder Schuldenkrise aussieht, kann man eine Dimension größer besser verstehen als die Geburtswehen einer Neuen Welt, in der fast alles anders sein wird als bisher. Selbst wenn der Wandel später rückblickend weniger gravierend sein sollte, so hätte man strategisch keinen Fehler gemacht. Herausforderungen zu überschätzen, ist weniger gefährlich als das Gegenteil.

Ein besonderer Wandel

Wie unterscheidet man eine Transformation von Innovationen und üblichem Wandel, die es in einer offenen Wirtschaft und globalen Gesellschaft immer gibt?
Ein Teil ist Wissen, über mehrere Gebiete und ihre Zusammenhänge, auch über Geschichte. Ein anderer Teil ist Beobachten. Selbst hinschauen und nicht nur Medien konsumieren. Noch ein Teil ist Fragen. Nicht nur nach der Bottom Line, sondern auch mal nach der Top Line. Die Welt mal auf den Kopf stellen. Aber immer wieder derselben heuristischen Frage nachgehen: Stimmt denn das wirklich? Der vierte Teil ist Systemdenken: die Fähigkeit, ganzheitlich zu sehen und zu denken, Verknüpfungen nicht auszublenden, Vernetzungen herzustellen und auf die sich darin zeigenden Muster zu achten. Und dann braucht man auch die richtigen Methoden, um alles "auf die Reihe" zu bringen.
Oder viel mehr gerade nicht "auf die Reihe", denn das wäre linear gedacht - sondern in den Zusammenhang bringen. Hans Ulrich, der Begründer der St. Galler Systemorientierten Managementlehre, hat es klar gesagt: "Ganzheitliches Denken ist kreativ, weil es bisher unverbunden Gedachtes verbindet und so erst Muster schafft, in die wir das Einzelne einordnen und damit verstehen können."
Wesentlich ist, die Puzzleteile zu einem System zu vernetzen, zu einem kohärenten Ganzen. In der Zusammenschau treten plötzlich Dinge auf, die man bei getrennter Betrachtung nicht erkennen kann - weil es sie dort nicht gibt. Für dies braucht man Modelle, die als "Knowledge Organizer" Navigationshilfen für das Unbekannte sind.
Die Aufgabe ist weniger, ständig nach neuen Daten zu suchen, wie es in der empirischen Sozialforschung üblich, ja zur hirnlosen Manie geworden ist. Früher musste man das anders sehen, denn Daten waren ein fast unüberwindbarer Engpass. Heute haben wir aber mehr Daten, als wir zumeist brauchen und als wir sinnvoll verarbeiten können. Es ist ein Märchen, dass mehr Wissen aus mehr Daten folgt und dass aus mehr Wissen mehr Erkenntnis resultiert.
Weit wichtiger ist die Aufgabe, nach der Bedeutung der vorhandenen Daten zu fragen. Die Bedeutung erschließt sich über Beziehungen, die im Datenmaterial verborgen sind oder - oft wichtiger - zwischen den Daten hergestellt werden können.
Kopernikus, der die Transformation vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild herbeiführte, tat dies nicht durch das Sammeln von mehr Daten. Er hatte dieselben Daten, Beobachtungen und Sinneseindrücke wie jeder seiner Zeitgenossen. Seine besondere Leistung sehe ich darin, dass er anders nach der Bedeutung der Daten fragte. Dabei erkannte er, dass aus den exakt gleichen Daten nicht zwingend nur das geo-zentrische Weltbild folgte, sondern auch dessen Gegenteil: das heliozentrische Weltbild.
Ein Navigieren im Umbruch verlangt von Füh-rungskräften der Gesellschaft überwiegend diese kopernikanische Fähigkeit. Dafür muss niemand ein Genie sein. Auf weite Strecken genügt ein bestimmtes Handwerk. Aber welches?
Etwa 1 400 Jahre lang hatte so gut wie niemand das geozentrische Weltbild infrage gestellt. Kopernikus war derjenige, der das Umdenken nachhaltig in einer Zeit einleitete, in der die Gesellschaft sich im Wandel befand, und althergebrachte Vorstellungen angezweifelt, manchmal sogar über Bord geworfen wurden. Nur ungefähr 100 Jahre zuvor wurde der Buchdruck erfunden und damit der Zugang zu Wissen erleichtert. Es war die Zeit der Reformation, der Kirchenspaltung, religiöser Unruhen, der Bauernaufstände. Das bestehende soziale System war ins Wanken geraten.
Zu Kopernikus' Lebzeiten blühte die Seefahrt auf, Seefahrer benötigten dringend genaue astronomische Daten, um sich auf den Weltmeeren nicht zu verfahren. Die Regeln des Navigierens, wie sie die Seefahrer kannten, waren nicht außer Kraft gesetzt. Die Sterne, die Sonne und die Erde mit ihren physikalischen Gesetzen waren dieselben wie zuvor. Neu aber wurden die Beziehungen dazwischen gesehen. Es dauerte, bis das alles zusammenkam, aber dann hatten sich die Grenzen der bekannten Welt grundlegend verschoben.
Das Beispiel zum Verlauf der Kopernikanischen Wende ist deshalb wichtig, weil sich fundamentale Transformationen so langsam und in so langen Zeit-räumen abspielen, dass man ihre Bewegungen nicht in einem üblichen Wortsinne sehen kann. Man braucht ein geschultes Auge und spezielle Instrumente, um Große Transformationen zu beobachten und überhaupt zu entdecken. Gerade das ist für das Navigieren typisch. Aus Medien und Internet erfahren wir heute zwar beliebige Mengen von topaktuellen Einzelereignissen, von Daten und Fakten. Was sie aber für uns bedeuten, die Kohärenz zwischen ihnen - "the patterns which connect" - müssen wir fast immer selbst (er)finden.
Als ich 1997 an meinem Buch über Corporate Governance und meiner scharfen Kritik am amerikanischen Shareholder Approach arbeitete, schrieb ich auch ein Kapitel mit der Überschrift "Die Große Transformation". Darin analysierte ich den sozio-politischen und wirtschaftlichen Wandel, der bereits im Gange war. Wichtige Quellen dafür waren mir unter anderem Karl Polanyi und Peter F. Drucker, die auf ihre je verschiede Weise solche Prozesse beschrieben hatten. Beide kannten sich gut. Während Polanyi an seinem bekannten Standardwerk zur Großen Transformation unter dem ersten Titel The Origins of Our Time arbeitete, schrieb Drucker The Future of Industrial Man. Der gegenseitige Einfluss macht sich bemerkbar, auch wenn beide völlig andere Auslegungen vorlegten. Beide Autoren sind jedoch auf ihre Art und Weise noch heute aktueller als vieles, was neueren Datums zu lesen ist.
Den Begriff "Transformation" verwendet Peter F. Drucker auch als Überschrift der Einführung zu seinem 1993 publizierten Buch Post Capitalist Society. Dort skizziert er unter anderem die großen Entwicklungslinien vom Kapitalismus zur Wissensgesellschaft und vom Nationalstaat zum transnationalen Megastaat.
Mit meiner eigenen Begriffswahl vollziehe ich die Integration einiger der bisherigen Bedeutungen in einen universellen fundamentalen Umwandlungsvorgang für das 21. Jahrhundert. Unter anderem ist dieser Prozess durch exponentiell wachsende Komplexität, durch die Entstehung global vernetzter Systeme und durch die Dynamik des sich selbst beschleunigenden Wandels charakterisiert. Dies führt zu historisch neuen Herausforderungen, deren Meistern vor allem radikal innovative bionische Organisationsformen, kybernetische Systeme für Management, Governance und Leadership sowie revolutionär wirksame Sozialtechnologien erfordert.
In der Praxis, in meiner Zusammenarbeit mit Füh-rungskräften in Unternehmen und anderen Organisationen, in Seminaren und Workshops stellte ich aber fest, dass in den 1990er Jahren den meisten Führungskräften ganzheitliches Denken fremd war. Heute sind Nachhaltigkeit und Systemdenken häufig benutzte Schlagworte in den Entscheider-Etagen.
Diesen Wandel zu verstehen, war 1997 für mich wichtig für die Bestimmung der richtigen Art von Corporate Governance, die wir für das zuverlässige Funktionieren von großen Unternehmen und - das möchte ich betonen, weil es vielen fremd ist - allen anderen Formen von Organisationen brauchen würden. "Funktionieren" ist mein allgemeinster Begriff für das zuverlässige und optimale Arbeiten einer Organisation entsprechend ihrem Zweck. Das war das Thema meines Buches.
Ich war überzeugt, dass die durch das Buch von Alfred Rappaport 1986 eingeleitete Doktrin des damals vorherrschenden Shareholder Values eine massive Fehlentwicklung in der Führung der Unternehmen war. Noch stand sie aber in voller Blüte und war sogar im Aufschwung. Für mich war klar, dass sie nicht überleben, aber bis zu ihrem Untergang noch immensen Schaden anrichten würde.
Zu den frühen Vorzeichen einer Neuen Welt rechnete ich Norbert Wieners Buch Cybernetics, or control and communication in the animal and the machine aus dem Jahr 1948, und das Buch Cybernetics and Management von Stafford Beer aus dem Jahr 1959, das eine erste Anwendung von Wieners Cybernetics auf das Management von großen Organisationen war. Für mich selbst waren diese Arbeiten der Beginn einer spannenden Reise.
Was ich damals in meinem Buch beschrieben habe, ist heute zu einem guten Teil Realität. Vermutlich stehen wir aber erst am Ende des ersten Drittels dieser fundamentalen Transformation, die weit mehr ist als ein Paradigmenwechsel. Sie ist ein kategorialer Wandel.

Die Welt von 1997

Blenden wir zurück ins Jahr 1997, als ich das erwähnte Buch veröffentlichte. Wer damals geboren wurde, ist heute 18 Jahre alt. Unter anderem hat er oder sie mindestens ein Smartphone und einen Computer, verbringt damit viele Stunden pro Tag im Internet, ist in verschiedenen Social Media unterwegs, und wer was wissen will, googelt - ein Verb, das bis vor kurzem niemand kannte.
1997 gab es davon noch nichts. Google wurde erst ein Jahr später gegründet, aber das war ein Non-Event. Das Arbeiten mit Algorithmen gab es hingegen schon lange. Wer davon wusste, dem war aber klar, dass hier nun mehr passierte, als nur ein neuer Hype. Ob es Google oder eine andere Firma sein würde, war dabei sekundär. Das Prinzip der Anwendung von Algorithmen war technisch verwirklicht und für die Massenanwendung verfügbar.
Das Produkt selbst war bereits 1948 da - die Ma-schinen aber noch zu langsam, die Leitungen noch zu schwach. Das würde sich ändern. Die Auswirkungen würden gigantisch sein, und zwar auf unser ganzes Leben. Es brauchte nicht viel Fantasie, um zu sehen, dass davon unsere Entwicklungsmöglichkeiten in zahlreiche Richtungen betroffen waren, aber auch unsere Privatsphäre, unsere Freiheitsrechte und unserer Sicherheit. 2004 ging Google dann an die Börse.
Bereits 1975 schrieb Stafford Beer, der Begründer der Managementkybernetik, in Platform for Change über Algorithmen und den "Data Trail". Dort hat er auch beschrieben, wie man damit User-Profile machen kann und wofür diese verwendet werden können - zum Beispiel auch, um die schon damals gigantischen Streukosten im Marketing zu reduzieren. Diese Techniken wurden schon für die Massenspionage in der Zeit des Kalten Krieges eingesetzt. Im selben Buch (1975!) gibt es auch ein Kapitel mit der Überschrift "Science and the mass media". Die heutigen Herausforderungen der Medien wurden von Beer bereits vorweggenommen.
1997 schrieb ich zum Hype der damaligen "New Economy": "Was immer computerisiert werden kann, wird computerisiert - und was automatisiert werden kann, wird es auch". Das war Standard-Thema meiner Innovationsseminare. Die Digitalisierung hatte bereits begonnen. Ein Smartphone gab es 1997 aber noch nicht.
Das erste iPhone kam erst 2007 auf den Markt. Allein dadurch hat sich fast alles verändert, und zwar zumeist radikal: unsere Kommunikation, viele unserer Lebensweisen, unsere Interessen und unsere Werte, die Fragen von Safety und Security unserer Daten bis hin zu Terror und Terrorbekämpfung.
Der Finanzplatz Schweiz war 1997 noch in bester Verfassung. Schon ab März 2000 sollte aber ein Finanzsturm über Zürich fegen, weil die Weltbörsen zum ersten Mal nach mehr als 20 Jahren beinahe kollabierten. Das Finanzsystem stand auf der Kippe. Es folgten 9/11, Terror, Amerikas Abschied von den Freiheitsrechten, Irakkrieg, Nordafrika, 1999 die erste Osterweiterung der NATO, eine neue geopolitische Weltordnung, die nahtlos in die Konflikte von heute führt. 2008 kam die zweite Finanzkrise mit noch weit größeren Schäden als die erste. Ein Finanz-Tsunami überrollte die Welt wie wir sie kannten, und das angeblich beste Finanzsystem aller Zeiten stand vor dem Kollaps.

"Klassisches Management": ein Auslaufmodell

Es wurde immer deutlicher, dass die herkömmlichen Managementvorstellungen Auslaufmodelle waren, ja dass es gerade dieses veraltete Management war, das die Fehlentwicklungen ungewollt herbeiführte. Es war einfach zu schwach und vor allem zu kurzfristig orientiert, um mit den Herausforderungen mitzuhalten - es konnte in dieser neuen Komplexität weder steuern, lenken noch kontrollieren - von gestalten konnte gar nicht erst die Rede sein.
Das kam nicht unerwartet, denn diese Art von Management hatte ihre Wurzeln tief im vorigen Jahrhundert - in einer noch weit einfacheren und auch langsameren Welt. Für das Meistern der rasch wachsenden Komplexität und für die Dynamik der immer stärkeren globalen Vernetzung würde man neue Denkweisen und Instrumente brauchen.
Die unter Umständen größten Changes würden daher in Organisation und Management stattfinden, nicht in der Ökonomie. Anhand von noch schwachen Signalen war doch schon zu erkennen, dass die meisten Organisationen der Gesellschaft - weit über die Wirtschaftsunternehmen hinaus - vor radikalen Änderungen stehen würden. Um diese erfolgreich zu bewältigen, würden sie neue Managementsysteme brauchen und damit ihr Funktionieren grundlegend verändern. Alle Komponenten der Managementsysteme wie Stra-tegie, Struktur, Prozesse, Kultur, die Kompetenzen der Führungskräfte selbst, die Policies und Missions sowie die Navigationssysteme, die Entscheidungs- und Problemlösungsprozesse und die Kommunikationssysteme würden sich anpassen und zu einem erheblichen Teil radikal ändern müssen. Diese Entwicklung ist seither in vollem Gange. Sie beschleunigt sich nun unter dem Einfluss immer schneller kommender Innovationen auf fast jedem relevanten Gebiet.
Nun wurde offenkundig, wie weitsichtig die Gruppe rund um Hans Ulrich im schweizerischen St. Gallen schon Anfang der 1970er Jahre begonnen hatte, altes Management zu ersetzen durch ein systemtheoretisch und kybernetisch fundiertes Managementmodell. Lineares Denken wurde durch zirkulär-kybernetische Modelle abgelöst, und rein betriebswirtschaftliches Denken durch ganzheitlich-interdisziplinäres Denken. 1972 präsentierte Ulrich zusammen mit Walter Krieg sein Managementmodell am 3. St. Galler Management-Symposium, das Benedict Hentsch und ich als junge Präsidenten des ISC-Studentenkommitees mitorganisierten.

Inhalt

INHALT
Vorwort 9
Kapitel 1: Warum neu denken? 11
Thesen 11
Kapitel 2: Die Große Transformation21 14
Ein Zeichen unserer Zeit? 14
Von der Alten Welt zu einer Neuen Welt 15
Ein besonderer Wandel 16
Die Welt von 1997 22
"Klassisches Management": ein Auslaufmodell 24
Fast alles wird sich ändern 26
Geburtswehen einer Neuen Welt 28
Ökonomie genügt nicht 30
Krise des Navigierens und Funktionierens 33
Die REvolution der Organisationen 34
Kapitel 3: Das Grundgesetz des Wandels 38
Eine Karte für Einblick, Durchblick, Überblick 39
Navigieren ins Unbekannte 42
Nicht nur eine, sondern drei Strategien sind nötig 43
Substitution und Kreative Zerstörung 45
Fundamentale Transformationen 46
Dem Wandel voraus sein 49
Kapitel 4: Die Treiber der Transformation 51
Demografie 52
Ökologie 57
Wissenschaft und Technologie 61
Ökonomie und Verschuldung 66
Haupttreiber Komplexität 72
Kapitel 5: Komplexität ist der Roh­stoff der Neuen Welt 73
Grenzen der alten Denkweisen 75
Was ist Komplexität? Was ist Varietät? 76
Unverstehbar, aber dennoch manageable 78
Einfache und komplexe Systeme 80
Kompliziert oder komplex? 83
Kapitel 6: Systems Out of Control? 87
New Governance by Cybernetics: Communication and Control 90
Kybernetik für Selbstfähigkeiten 93
Wirtschaften ist zu wenig 94
Kapitel 7: Komplexität für das Funktionieren von Organisationen 97
Zwei Ebenen des Funktionierens 97
Sachaufgaben und Managementaufgaben 100
Die Konstanten im Wandel: Master Controls 101
Wie Master Controls funktionieren 103
Navigationsassistenten für die Transition 112
Kapitel 8: Heuristiken: Navigationsprinzipien für Neuland 124
Prinzipien für die Lagebeurteilung im Ungewissen 126
Grundsätze für die Lenkungskapazität und Beziehungsgestaltung 128
Heuristiken für die Informationslage 130
Prinzipien für die Überzeugungsfähigkeit 131
Kapitel 9: Vom Umbruch zum Aufbruch 133
Zum Umgang mit Grenzen 134
Wenn etwas neu ist: Führen mit Instruktionen 140
Nicht nur Kommunikation, auch Metakommunikation 142
Chefs und Kollegen managen 143
Management als Leidenschaft für das Mögliche 146
Epilog 148
Literatur 153
Ausgewählte Literatur von Fredmund Malik 156
Register 157

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